Kapitel 1
Eine Lösung musste her. Aber woher? Jana warf einen Blick auf die Anzeige des Ergometers. Heute hatte sie sich selbst übertroffen. Seit sechsundvierzig Minuten strampelte sie nun schon den Berg hinauf, doch eine Lösung hatte sich nicht mal ansatzweise aufgetan. Dabei hieß es doch, Sport mache den Kopf frei. Ihr Kopf fühlte sich an wie ein dicker Wattebausch, eine weiche Masse ohne jede Struktur.
Heute, am Sonntagnachmittag, war das Fit & Fun-Studio gähnend leer, im Ladybereich war sie sogar die Einzige. Bei zweiunddreißig Grad im Schatten tobten sich die Leute lieber im Wiesenbad aus oder suchten sich im Nordpark ein schattiges Plätzchen, dösten vor sich hin oder lasen in einem spannenden Buch.
Nur der Kursraum war bis vor einigen Minuten noch gut belegt gewesen. Dort hatte Silke, ihre Mitbewohnerin, mit ein paar disziplinierten Frauen einen Pilateskurs abgehalten. Manchmal nahm auch Jana daran teil, heute aber wäre ihr der eindeutig zu lahm gewesen. Aus einem ganz bestimmten Grund verspürte sie das dringende Bedürfnis, sich bis zum Anschlag auszupowern. Und dieser Grund hieß: Leonard!
Was bildete der sich ein? Kam einfach daher, ohne jede Vorwarnung, und tat gerade so, als käme er von einer Wochenendtour. Nach acht Monaten und sechszehn Tagen! Mit ihr reden wollte er! Das hatte sie natürlich boykottiert. Nach seinem überraschenden Abflug gab es nichts mehr zu reden. Absolut nichts. Oder glaubte er ernsthaft, nahtlos an die Vergangenheit anknüpfen zu können? In etwa so: »Hallo, da bin ich. Wir können jetzt da weitermachen, wo wir aufgehört haben«? Ja, das würde zu ihm passen. Die Welt drehte sich ohne ihn ja auch nicht weiter! Alles stand still und wartete nur auf seine Rückkehr.
Aber von wegen! Hier war eine ganze Menge passiert, nämlich … zum Beispiel … angestrengt suchte Jana nach erwähnenswerten Ereignissen, rief sich Monat für Monat in Erinnerung, den grauen November, nachdem er gegangen war, die trostlose Weihnacht bei ihren Eltern, die verregneten Ostertage, die deprimierenden Saufgelage mit Silke, ihrer Kollegin Marina, oder aber allein zu Hause. Hallo? War das etwa alles gewesen? In den gesamten acht Monaten? Was war mit Männern, mit Schmetterlingen im Bauch, mit Sex? Es war wie verhext, nicht die kleinste Episode, kein One-Night-Stand, nicht einmal ein harmloser Flirt fielen ihr ein. Nur der mehr oder weniger langweilige Thorsten, der ihr unermüdlich zu beweisen versucht hatte, dass andere Mütter auch noch nette Söhne hatten. Seine eigene zum Beispiel. Treu wie ein Dackel hatte er sie durch die deprimierendste Phase ihres Lebens begleitet, war immer für sie da gewesen, wenn es ihr schlecht gegangen war, hatte sie mit Kino- oder Theaterbesuchen abgelenkt, zum Glas Wein oder einer Bootstour eingeladen, er war ein echter Freund. Leider hatte sie in letzter Zeit das dumme Gefühl, dass sein Engagement ein eindeutiges Ziel verfolgte. Warum musste alles immer nur so kompliziert sein? Konnte er nicht wenigstens ein schwuler Freund sein? In jeder Komödie war der beste Freund der Hauptdarstellerin schwul, damit unerwünschte Verwicklungen von vornherein ausgeschlossen wurden. Das wahre Leben sah jedoch ganz anders aus. Aber Thorsten war zurzeit ihr kleinstes Problem.
Ihr Problem hieß Leonard. Sie versuchte, einen objektiven Blick auf sich während der vergangenen acht Monate zu werfen. Konnte irgendwer ernsthaft glauben, dass sie weiter nichts getan hatte, als auf Leonards Rückkehr zu warten? Nein, ausgeschlossen. Für so naiv konnte sie niemand halten. Oder doch? In Gedanken ging sie die Liste ihrer Freunde durch. Das Ergebnis war eindeutig. Okay, jeder durfte schließlich glauben, was er wollte. Jeder – nur einer nicht. Leonard würde sie früher oder später aufsuchen, so viel stand fest. Er hatte mit ihr reden wollen, gestern, bei der Grillparty, auf der er aus heiterem Himmel aufgetaucht war, nach acht Monaten! Ohne Vorwarnung! Unverschämtheit! Was immer er mit ihr zu bereden hatte, er würde es nochmal versuchen. So leicht gab er nicht auf. Genau deshalb musste eine Lösung her. Aber woher, verflixt?
Jana kletterte vom Ergometer, warf ihr Handtuch über die Schulter, griff nach der Wasserflasche und trank einen großen Schluck. Für heute reichte es. Völlig entkräftet eierte sie zu den Umkleideräumen, entledigte sich der nassgeschwitzten Sportsachen und stellte sich unter die Dusche. Wie gut das tat. Minutenlang stand sie einfach nur da und ließ das herrlich kühlende Wasser an sich hinabrieseln. Und plötzlich war sie da, die Lösung. Warum war sie nicht gleich draufgekommen? Jörg! Ihr Ex. Er war einer zum Vorzeigen, einer zum Angeben, ein Adonis, er war der ideale Kandidat für diesen Zweck. Sie musste nur dafür sorgen, dass er möglichst wenig zu Wort kam und seine esoterischen Weisheiten für sich behielt. Er neigte leider ein bisschen dazu, die Welt zu bekehren. Sie musste ihn anrufen. Sofort.
Mit einer großen Portion Zuversicht und einem Cappuccino, den sie sich am Tresen geholt hatte, ließ Jana sich wenig später in der Lounge des Fitnessstudios nieder und zog ihr Handy aus der Tasche. Sie betete inständig, dass Jörg seine Nummer inzwischen nicht gewechselt hatte, dass er sofort abkömmlich war, und dass er keine Freundin hatte, die an ihm klammerte und ihn nicht einfach so für ein paar Tage gehen ließ.
»Ja?«
Jana zuckte zusammen. Er war es! Jörg! »Äh, hi!«
»Ja, bitte?«
»Ich bin’s. Jana.«
»Hey, Jana! Das ist ja eine Überraschung. Wie geht es dir?«
»Danke, gut. Und selbst?«
»Du, bei mir ist momentan alles im Umbruch und ich hab noch keinen Schimmer, wie es weitergeht.«
»Oh, das klingt doch gut.« Hallo? Er erzählte ihr, dass er quasi vor dem Abgrund stand und sie sagte lapidar: Das klingt doch gut? Etwas mehr Einfühlungsvermögen, bitte sehr. »Äh, ich meine, inwiefern? Beruflich oder privat?«
»In allen Bereichen meines Lebens. Ich denke darüber nach, mein eigenes Yogazentrum zu gründen. Bin nur noch auf der Suche nach dem idealen Standort.«
Nach ihrer Trennung vor fast drei Jahren war Jana zufällig mal seiner Mutter begegnet. Von ihr hatte sie erfahren, dass Jörg eine Stelle als Yogalehrer in einer Privatklinik in Bad Wildungen angenommen hatte. Offenbar war er damit nicht mehr zufrieden.
»Komm doch hierher«, schlug sie ihm vor. »Bielefeld ist eine Esoterik-Hochburg.«
»Darüber hab ich in der Tat schon nachgedacht. Ich muss gestehen, ich hab auch etwas Heimweh. Hier kann ich mich nicht mehr weiterentwickeln.«
Noch weiter? Hatte er nicht damals schon den Gipfel seiner geistigen Entwicklung erreicht? Na, egal. Es waren nur ein paar Tage, die sie mit ihm ausharren musste, nur so lang, bis Leonard begriff, dass es ihr während seiner Abwesenheit an nichts gefehlt hatte.
»Ich mache dir einen Vorschlag. Du kommst mich einfach spontan besuchen. Was hältst du davon? Ich habe Urlaub und würde mich riesig freuen.«
Bedenkliches Schweigen am anderen Ende der Leitung. Jana befürchtete schon, dass ihre Einladung ihn überrumpelt haben könnte. Spontaneität zählte nicht zu Jörgs herausragenden Eigenschaften.
»Oder bist du inzwischen gebunden?«
»Ach, das ist alles etwas kompliziert. Aber weißt du was? Ich komme. Der Abstand wird mir guttun. Wann passt es dir?«
»Wenn du willst sofort.«
Er wollte. Jana legte auf und schmunzelte vor sich hin. Jörg. Ihre erste ernstzunehmende Beziehung. Sie war dreiundzwanzig, als sie sich kennengelernt hatten. Die Beziehung hatte zwei Jahre lang gehalten, das letzte Jahr hatten sie zusammengewohnt. Sie hätte sich gewiss noch fortgesetzt, wenn sie und er sich nur ein bisschen mehr in dieselbe Richtung entwickelt hätten.
Jana nahm den Cappuccino, lehnte sich zurück und wanderte mit ihren Gedanken zu ihrem letzten gemeinsamen Tag.
Sie hatten beim Frühstück gesessen, er in seinem blütenweißen Yogadress und, wie jeden Morgen um diese Zeit, nach seiner Meditation und dem zwanzigminütigen Kopfstand in der Phase seiner geistigen Höchstform, sie, ihm gegenüber, und wie jeden Morgen um diese Zeit, noch im Halbschlaf und weder aufnahme- noch gesellschaftsfähig.
»Jana, hör mir zu«, hatte er gesagt, während er mit seinem pfirsichfrischen Teint den Bio-Apfel für sein Bio-Müsli in kleine Bio-Stückchen schnitt, »was unser Thema angeht, da hab ich langsam irgendwie das Gefühl, also, ich meine, erst willst du, dann wieder nicht, dann wieder doch, aber dann will ich nicht, aber nur, weil ich irgendwie das Gefühl habe, dass du nicht wirklich willst, und jetzt willst du echt ernsthaft, ja, das kann ich spüren, nur, wie soll ich sagen, um es kurz zu machen, inzwischen bin ich geistig so gereift, weißt du, und da bringe ich es nicht mehr fertig, ich finde es total verantwortungslos, ein Kind in die Welt zu setzen. Sieh dich doch um, Jana. Wir alle sitzen in einem Zug, der ungebremst auf eine Klippe zurast. Soll unser Kind schon zu Beginn seines jungen Lebens da hinunterstürzen. Ist es das, was du willst?«
Nein, das war es nicht, was sie gewollt hatte. Aber ihre kindische Reaktion darauf hätte sie sich besser verkniffen. Dafür schämte sie sich heute noch, denn sie zeugte wirklich nicht von Reife, selbst, wenn ihre Enttäuschung durchaus berechtigt gewesen war. Ihr ganzes Denken und Handeln war auf die Gründung einer kleinen Familie ausgerichtet, und wenn sie sich richtig erinnerte, war es bei ihm nicht anders gewesen. Am Anfang ihrer Beziehung jedenfalls. Wann es sich geändert hatte, war im Nachhinein nicht mehr festzustellen, vermutlich mit der Entdeckung seines brachliegenden geistigen Potenzials und dem darauffolgenden Beginn seines Esoterik-Trips.
»Ich verstehe dich sehr gut«, hatte sie zynisch geantwortet, »dein Geist, der ist nicht einfach nur enorm gereift, der ist schon überreif wie ein Harzer Roller. Und genauso stinkt er auch!« Impulsiv hatte sie ihm ihr dick mit Butter und Honig bestrichenes Brötchen entgegengeschleudert, sodass eine klebrige Masse über seinen weißen Yogaanzug kroch.
Mit der Gelassenheit eines Gurus hatte er an sich hinuntergeblickt. »Siehst du, genau das meine ich. Der eine entwickelt sich weiter, der andere nicht.«
Als sie am Abend nach Hause kam, war keine Yogamatte mehr zu sehen gewesen, kein Buddha auf der Kommode, keine Räucherstäbchen auf dem Tisch und kein Lassi mehr im Kühlschrank. Der Wohnungsschlüssel hatte zusammen mit seiner letzten Botschaft auf dem Küchentisch geprangt. »Deine energetische Bremse ist die Angst vor falschen Entscheidungen. Arbeite daran! Nur die Erfahrung bringt uns weiter. Dein Jörg.«
Jana hätte ihn am liebsten erwürgt, wäre er ihr in diesem Augenblick über den Weg gelaufen. Doch er hatte sich an diesem Abend nicht mehr blickenlassen. Und das war gut so, denn sie brauchte ihn jetzt lebendig. Wenn er immer noch so apart aussah, groß und schlank mit seinem langen blonden Haar, dann erfüllte seine Anwesenheit ihren Zweck.
Sie überlegte, ob sie ihn in seine Rolle einweihen sollte, entschied sich jedoch dagegen. Er würde sie nur wieder belehren, dass man mit Authentizität im Leben am weitesten kam, würde womöglich eine Aussprache mit Leonard empfehlen, vorzugsweise in seinem Beisein, damit er das Gespräch in die richtige Bahn lenken konnte. Sie kannte ihn.
Die Tür zum Kursraum öffnete sich, nacheinander schleppten sich etwa zehn Frauen abgekämpft an ihr vorbei. Kurz darauf kam auch Silke. Sie war nicht nur Janas Mitbewohnerin, sondern auch ihre Cousine und der Ersatz für eine große Schwester. Sie waren in einer Kleinstadt nahe Bielefeld quasi Tür an Tür aufgewachsen, bis es Silke, kaum den Führerschein in der Tasche, in die Stadt gezogen hatte. Nach der Trennung von Jörg war Jana ihr gefolgt und hatte das kleine, bis dahin als Rumpelkammer genutzte dritte Zimmer in Silkes Altbauwohnung bezogen. Ein Schritt, den sie nie bereut hatte. Auch wenn sie hier die größte Enttäuschung ihres Lebens erfahren musste. Aber Leonard war Schnee von gestern. »Durchstreichen – Weitergehen«, hatte ihre Oma immer gesagt.
»Alles okay?«, fragte Silke.
»Alles okay. Warum?«
»Du guckst, als führtest du etwas im Schilde.«
»Wer weiß.« Jana gab sich geheimnisvoll. Ein Weilchen wollte sie ihre Neuigkeit noch für sich behalten. Silke kannte Jörg nur flüchtig. Am Anfang ihrer Beziehung, als Jörg quasi noch normal war, hatten sie sie einmal in ihrer Stadtwohnung besucht. Von seiner beachtlichen geistigen Entwicklung wusste sie nur aus Janas Erzählungen.
»Wir sehen uns nachher.« Silke ging weiter zu den Umkleideräumen.
Jana schulterte ihre Sporttasche, stellte die Cappuccino-Tasse am Tresen ab und verließ das Studio. Sie führte tatsächlich etwas im Schilde. Jörg konnte ruhig ein wenig bedauern, dass er sie damals so leichtfertig verlassen hatte. Mit einem ganz besonderen Menü würde ihr das am besten gelingen, denn sie wusste, dass ihm nichts über ein stilvolles Essen ging. Da die Läden heute geschlossen hatten, würde sie ihren Eltern kurzerhand einen Sonntagsbesuch abstatten. Die freuten sich ganz bestimmt, ihre einzige Tochter nach Wochen mal wiederzusehen. Ganz nebenbei konnte Jana ein wenig bei der Gemüseernte im Garten helfen und den Eisschrank, der regelmäßig aus allen Nähten platzte, um ein schönes Stück Hähnchenbrust oder Lammfilet erleichtern.
Stadtnahes Wohnen hatte seine Vorteile. Sofern man kein Auto besaß. Das wurde Jana jedes Mal bewusst, wenn sie durch ihre Straße fuhr, um einen Parkplatz zu ergattern. Seit sie bei Silke wohnte, war ihr das noch nie gelungen, nicht in der Straße, und schon gar nicht direkt vorm Haus. Wer einmal einen Platz hatte, ließ den Wagen stehen und stieg auf öffentliche Verkehrsmittel um. Genauso musste es sein, anders war es nicht zu erklären. Doch sie würde nicht aufgeben. Eines schönen Tages würde sie einen Platz erwischen und es dann genauso wie die anderen machen. Dieser Tag war allem Anschein nach noch nicht gekommen. Also parkte sie ihren kleinen Seat gefühlte fünf Straßen weiter und schleppte die Sporttasche samt Gratiseinkauf bei ihren Eltern nach Hause. Mit neidvollem Blick zog sie an zig parkenden Autos vorbei bis zu ihrem wunderschönen Jugendstilhaus ohne Aufzug und stapfte vollbepackt in die zweite Etage.
Das Radio in der Küche lief und die Balkontür stand weit offen. Das konnte nur eins bedeuten. Sie ließ die Sporttasche auf den Boden sinken, stellte die Tüten auf dem Küchentisch ab und trat hinaus auf den Balkon. Sie hatte richtig getippt. Die nackten Füße auf der Blumenbank abgestützt, lümmelte Silke in ihrem Korbstuhl und blickte mit ernster Miene in einen ihrer heißblütigen Thriller. Sie hatte die Gabe, sich so sehr in die Geschichten zu vertiefen, dass sie nichts mehr von der Außenwelt mitbekam. In dem Zustand konnte man sie glatt entführen und sie würde es nicht merken, solange man ihr das Buch nicht abnahm oder die Augen verband. Allerdings war eine Entführung ziemlich ausgeschlossen, weil es in ihrer gesamten Verwandtschaft nichts zu holen gab.
»Hi!«, sagte Jana laut und deutlich.
Keine Reaktion.
»Hey, Silke? Jemand zu Hause?«
»Hmhm.«
»Willst du gar nicht wissen, was es Neues gibt?«
»Hmhm«, brummte Silke zwar, doch sie blickte nicht mal von ihrem Buch auf.
Jana wusste, dass sie nicht zuhörte. Da musste sie wohl zu einem kleinen Trick greifen. »Ich hab Leonard zum Essen eingeladen.«
Prompt schlug Silke ihr Buch zu. »Was? Hierher? In unsere Wohnung?«
Jana grinste innerlich. Es hatte gewirkt. Das Thema Leonard war eins der wenigen, mit denen man Silke aus der Reserve locken konnte. Allein sein Name bewirkte, dass sie in eine Art Verteidigungsmodus schaltete. Die beiden waren wie Hund und Katz und niemand konnte ausschließen, dass eine Begegnung zwischen ihnen nicht eines Tages mit einer Gräueltat enden würde.
Jana hatte aufgehört, nach dem Grund für Silkes Abwehrhaltung zu fragen. Die behauptete ohnehin jedes Mal nur lapidar, dass ihr Leonards Überheblichkeit gegen den Strich ging. Das allein aber kaufte Jana ihr nicht ab und sie hatte den Verdacht, dass es da möglicherweise einmal eine Episode gegeben hatte, die für Silke oder für Leonard oder für beide unschön ausgegangen war. Aber das war reine Spekulation. Auch Leonard hatte sich diesbezüglich immer bedeckt gehalten. Jedenfalls pflegten die beiden seit Jahren eine Art verbalen Machtkampf, der nicht selten mit Frust auf beiden Seiten endete. Bei Treffen im Bekanntenkreis sorgten ihre gemeinsamen Auftritte für gemischte Gefühle. Für die einen war es kindisches Geplänkel, für die anderen eine erfrischende Abwechslung.
Seit es Leonard ins Ausland verschlagen hatte, verliefen ihre Feiern friedlich und gesittet. Bis gestern. Sie hatten eine kleine Grillparty geplant und Jana hatte Thorsten gebeten sie abzuholen, weil sie einen Grund hatte, ein Gläschen mehr als üblich zu trinken. So hatte ihrer tyrannischen Chefin endlich die Brocken vor die Füße geworfen. Das musste gefeiert werden. Fix und fertig hatte sie in der Küche gesessen und auf Thorsten gewartet, hatte ständig auf das Handy gestarrt und die Minuten gezählt, die er bereits überfällig war.