Urlaub für Profis – Leseprobe

Kapitel 1

Genau das hatte Katrin befürchtet. Fieberhaft marschierte sie durchs ganze Haus und schließlich durch die offene Terrassentür hinaus in den Garten. Verflixt, wo steckte er nur wieder? »Pa-aul!«
»Hier bin ich, Mausi.«
Katrin hörte, aber sah ihn nicht. Sie machte einen Satz über die Rosenrabatten und überquerte den Rasen. Hinterm Schuppen entdeckte sie den Hobbybastler mit ihrem Fahrrad, das kopfüber vor ihm stand. In aller Seelenruhe tröpfelte er Öl auf die Kette und drehte gemächlich das Pedal weiter.
»Du, die Hollmanns fahren heute schon! Sie laden gerade ihre Koffer ein!«
Von ihrem Protest offenbar ungerührt, kurbelte Paul nun einige Male kräftig an dem Pedal und überprüfte mit quasi geeichtem Augenmaß die Spur des Rades. »Die Acht ist raus, Mausi.«
»Paul, hast du gehört?«, empörte sie sich. »Gaby und Hanfred fahren schon los.«
»Ja, das weiß ich doch.«
»Du weißt es? Aber …«
»Hier, halt doch bitte mal.« Paul drückte ihr das Ölkännchen in die Hand, drehte mit geübtem Handgriff das Fahrrad um und stellte es auf seine Räder. »Jetzt kannst du wieder gemütlich mit dem Rad Einkaufen fahren. Ist doch viel bequemer als mit dem Auto.«
Von bequem konnte keine Rede sein, aber das Fahrrad interessierte Katrin gerade herzlich wenig. »Sie halten sich einfach nicht an unsere Vereinbarung. Es war abgemacht, dass wir am Sonntag fahren – und zwar alle zusammen!«
»Also, ein kleines Dankeschön habe ich schon verdient, finde ich.«
»Ja, danke«, brummte Katrin bemüht freundlich. »Aber findest du nicht, dass es so nicht geht? Es ist unser gemeinsames Landhaus. Da kann doch nicht jeder machen, was er will.« Am allerwenigsten Gaby, fügte sie in Gedanken hinzu. Sie kannte ihre Nachbarin. Die tat nichts ohne triftigen Grund. Wenn sie sich ohne Absprache, quasi hinterrücks, auf den Weg nach Italien machten, verhieß das nichts Gutes. Für die anderen. Was für ein Glück, dass sie sie zufällig beim Koffer einladen erwischt hatte. Jetzt konnte sie dem Unheil wenigstens noch entgegenwirken. Sofern Paul mitspielte.
Der nahm ihr das Ölkännchen wieder ab und schraubte den Verschluss darauf. »Lass sie doch fahren. Was ist denn schon dabei?«
»Aber verstehst du denn nicht? Gaby wird die sturmfreien Tage dazu nutzen, um … um … um …«
»Ja, was denn?«
»Na, um sich im ganzen Haus breitzumachen. Sie wird so tun, als gehörte es ihr allein!«
»Gönnen wir ihr doch den Spaß. Es sind doch nur drei Tage.«
»Aber sie wird bei der Renovierung das Kommando an sich reißen!« Das Argument zog bestimmt, da war Katrin sicher. In Sachen Handwerk ließ Paul sich nur ungern bevormunden. Er hielt sich nämlich für den Champion aller Meister. Aber er lachte, als hätte sie einen guten Witz gemacht.
»Gaby versteht vom Renovieren so viel wie ich vom Stricken. Sie ist eine Frau!«
Eine Frau? Was sollte das denn heißen? Katrin schluckte ihre Empörung herunter, jetzt ging es um Wichtigeres als um emanzipatorische Grundsatzfragen. »Aber sie wird das schönste der drei Schlafzimmer in Beschlag nehmen! Garantiert! Ich kenne sie!« Das war ihr letztes schlagkräftiges Argument, und sie ahnte, dass er auch das abschmettern würde. Sie hätte sich besser vorbereiten müssen, anstatt ihm brühwarm ihren unverfälschten Ärger zu servieren.
»Mach dich doch nicht verrückt. Wir verlosen die Räume. So haben wir es vereinbart.«
»Ja! Wir hatten auch vereinbart, dass wir am Sonntag gemeinsam fahren!« Störrisch verschränkte Katrin die Arme und wandte sich ab. Wie konnte man nur so stur sein? Verflixt, was nun? Sie wollte unbedingt das Zimmer zur Ostseite haben! Durch die Schräge wirkte es kleiner als die anderen beiden, in Wirklichkeit aber war es sogar etwas größer. Anhand des Grundrisses hatte sie die Quadratmeter der drei Schlafzimmer berechnet. Aber das Schönste am Ostzimmer war der Blick aus dem großen Fenster: Die liebliche Hügellandschaft des Valpolicellas direkt vor Augen, wenn man wollte, sogar vom Bett aus. Die beiden anderen Räume waren nach Süden und Norden ausgerichtet. Ein Schlafzimmer zum Süden! In Italien! Darin würde man nachts vor Hitze umkommen.
»Also, ich sehe vor allem die Vorteile. Wenn die Hollmanns vor uns dort sind, können sie die Zimmer lüften und den Kühlschrank füllen.«
»Ach, so ist das! Na, das ist ja praktisch!«
»Ja, ich denke praktisch.« Paul schnappte sich das alte Handtuch, wischte seine Hände sauber und brachte das Ölkännchen in den Schuppen. Katrin folgte ihm.
»Ich mach dir einen Vorschlag. Ich packe jetzt die Koffer, wir gehen zeitig schlafen und starten morgen in aller Früh, um fünf, oder um vier. Das ist sowieso das Beste. Um die Uhrzeit ist die Autobahn schön leer und es ist noch nicht so heiß.«
»Na, du hast Ideen.« Paul schob seinen Benzinmäher aus dem Schuppen heraus und rollte ihn über den Gehweg auf den Rasen. Katrin trippelte hinterher.
»Die Koffer sind schnell gepackt. Und dein Werkzeug kannst du gleich nach dem Abendessen ins Auto laden.«
»Du weißt doch, Mausi, morgen Vormittag werden unsere Azubis verabschiedet. Ich bin ihr Ausbilder. Da kann ich unmöglich wegbleiben. Das will ich auch nicht. Ich will ihnen meine besten Wünsche mit auf den Weg geben.«
»Dann … dann starten wir eben mittags.«
»Hast du vergessen, dass Pia morgen Abend ins Ferienlager fährt? Ich habe ihr versprochen, sie zum Bus zu bringen.«
»Aber das kann Lena doch machen.« Ja, sie sollte ihre Tochter anrufen. Sie hätte sicher nichts dagegen, ihre kleine Schwester zum Bus zu bringen.
»Lena ist mit ein paar Freunden in Holland, das weißt du doch. So, wie es geplant war, ist es schon perfekt. Wir fahren am Sonntag, und Schluss!« Mit einem kräftigen Zug an der Reißleine warf er den Mäher an und schob ihn in einer akkuraten Bahn über die Rasenfläche.
Gegen das dröhnende Motorengeräusch konnte Katrin nichts mehr ausrichten. Ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit übermannte sie. Mit Paul war einfach nicht zu reden. Er war ja so unglaublich, so unbeschreiblich, so schrecklich unflexibel. Aber sie hatte nicht die Absicht, Gaby Hollmann das Feld zu überlassen. Ihr Blick fiel auf das Fahrrad, das repariert und sogar geputzt am Schuppen stand. Ein kleiner Hoffnungsschimmer tat sich auf.

Kapitel 2

»So. Das dürfte dann alles sein.« Mit einem Koffer zu ihren Füßen und der Handtasche um die Schulter stand Gaby Hollmann in der Tür und wartete darauf, dass Hanfred ihr das Gepäck abnahm.
Der aber schlug mit Wucht die Heckklappe seines BMWs zu, als wollte er sie um keinen Preis wieder öffnen. »Was schleppst du denn da noch an? Der Wagen ist voll!«
»Das sind meine Schuhe. Die müssen mit!« Gaby rollte den Koffer vor seine Füße und spähte durch die Scheiben in den Wagen.
»Ein ganzer Koffer voller Schuhe?«
»Schuhe wollen getragen werden. Dafür kauft man sie.«
»Aber es ist Hochsommer. Da reichen Sandalen und leichte Laufschuhe.«
»Was glaubst du, was ich eingepackt habe? Springerstiefel?«
Hanfred sah aus, als wollte er protestieren, doch er schwieg.
Gaby registrierte, dass er wütend war. Seit er realisiert hatte, dass sie es wirklich ernst meinte, zog er ein Gesicht. Heute früh – er war noch nicht ganz wach – da hatte sie ihn mit all ihrem Liebreiz bezirzt und ihm in den schönsten Farben ausgemalt, wie vorteilhaft es doch wäre, sofort nach Italien aufzubrechen, anstatt wie ursprünglich geplant, erst am Sonntag gemeinsam mit den anderen zu fahren. Im Liebesrausch erklärte er sich in der Regel mit allem einverstanden, das große Erwachen kam erst bei der Umsetzung. Aber Zusage war Zusage, daran gab es nichts zu rütteln. Wenn ihm irgendwas nicht passte, stand es ihm frei, das zu sagen. Sie war nicht dazu da, seine Gedanken zu erraten.
Entschlossen öffnete sie die Heckklappe wieder und betrachtete die geballte Wagenladung. »Warum musst du eigentlich das viele Werkzeug befördern? Paul hat viel mehr Ladefläche in seinem Combi.«
»Paul nimmt sein eigenes Werkzeug mit.«
»Und was ist mit Siggi? Der hat einen Camper.«
»Der hat die Kreissäge und das Baumaterial eingeladen. Sein Wagen ist auch voll.«
»Gott, wie es da drinnen aussieht! Nichts als Werkzeug! Man wird mich für die Frau eines Bauarbeiters halten.«
Hanfred grinste sie schief von der Seite an. »Na ja …«
»Was: Na ja?«
»Du bist die Tochter eines Maurers.«
»Musst du mich daran erinnern? Reicht es nicht, dass Katrin mir den Tag verdorben hat? Ausgerechnet, wenn wir die Koffer einladen, muss sie hier aufkreuzen. Als hätte sie es gerochen!« Gaby stemmte die Fäuste in die Hüfte und blickte auf den Koffer. »Gut. Dann muss ich mir in Italien eben neue Schuhe zulegen. Beschwer dich dann aber bitte nicht, dass ich zu viel Geld ausgebe, so wie im letzten Urlaub.« Insgeheim sprach sie sich ein dickes Lob aus. Die Sache mit dem Koffer hatte wunderbar funktioniert. Sie würde ungestraft Schuhe kaufen können, fantastische italienische Schuhe, und ihr lieber Hanni-Schatz dürfte sich zwar darüber ärgern, konnte aber nichts dagegen sagen. Er hatte es ja so gewollt.

Wenig später fuhren sie auf der Autobahn Richtung Süden. Hanfred fühlte sich mies.  Unter fadenscheinigem Vorwand – er habe sich übel den Magen verdorben – hatte er Siggi für seine Hausbesichtigungstermine eingespannt. Das war nicht in Ordnung. Sie waren Geschäftspartner und Freunde. So geht man nicht mit Freunden um! Aber was hätte er tun sollen? Gaby hatte ihm das Versprechen abgeluchst, Stillschweigen über ihre verfrühte Abreise zu wahren. Angeblich sollte es eine nette Überraschung werden. So oder so war er jetzt der Verräter. Ihm war nur die Wahl zwischen den anderen und seiner Frau geblieben. Gaby zu verraten hätte für ihn weit härtere Konsequenzen gehabt, – er lebte schließlich mit ihr unter einem Dach – also hatte er sich an sein unredlich entlocktes Versprechen gehalten und niemand hatte etwas erfahren. Außer Paul. Mein Gott, er hatte ihn zufällig im Garten beim Fahrrad reparieren gesehen und wollte nur kurz fragen, ob er den Zehner-Steinbohrer besorgt hatte. Man konnte ja nie wissen, ob es in Italien Ersatzwerkzeug gab. Aber Paul war absolut vertrauenswürdig. Er würde niemals weitergeben, was man ihm anvertraut hatte. Dass Katrin jetzt auch davon wusste, war weder Pauls noch seine Schuld. Es war ein dummer Zufall gewesen, dass sie um die Ecke kam, gerade als sie das Gepäck einluden. Nur, wenn Katrin es jetzt wusste, konnte es nicht mehr lange dauern, bis auch Heide davon erfuhr, und so würde es dann doch bei Siggi landen. Damit schloss sich der Kreis der Mitwisser.
»Ich habe mir Gedanken gemacht«, unterbrach Gaby das Schweigen.
Hanfred zog die Stirn kraus und blickte erstaunt neben sich. »Ach ja?«
»Also: Das Erdgeschoss ist ja schon ziemlich perfekt. Da haben wir die offene Küche und einen großen Wohn-Essbereich mit Zugang zur Terrasse, ein kleines Duschbad mit Gäste-WC und einen Hauswirtschaftsraum. Besser geht es nicht, also in räumlicher Hinsicht. Allerdings sehe ich im Obergeschoss ein kleines Problem. Da haben wir drei Zimmer mit jeweils eigenem Bad, für jedes Paar also ein Schlafzimmer. Aber da ist ja noch das kleine Zimmer ohne Bad. Was geschieht damit?«
»War das nicht als Gästezimmer gedacht? Wenn die Kinder mal kommen oder so?«
»Siehst du. Und genau damit habe ich ein Problem.«
»Aber wieso? Die Idee ist doch prima.«
»Wir haben keine Kinder und Heide und Siggi ebenfalls nicht. Nutznießer dieser Regelung wären also nur Paul und Katrin mit ihren beiden Gören, demnächst vielleicht sogar mit ihren Enkeln. Das ist nicht gerecht. Aber zum Glück haben wir das nicht schriftlich fixiert. Es ist also noch verhandelbar.«
»Aber wir könnten doch auch mal Besuch bekommen.«
»Du denkst aber jetzt nicht an deine Mutter?«
»Quatsch!« Hanfred hatte an seine Mutter gedacht. Sie war so selten verreist in ihrem arbeitsreichen Leben und hätte es verdient, mal richtig auszuspannen.
»Na, dann bin ich ja beruhigt. Was das Zimmer betrifft, es würde sich anbieten, einen Beauty- und Massagesalon darin einzurichten.«
»Klingt nicht übel.« Hanfred sah sich bäuchlings auf der Massageliege dösen, während die öligen Hände einer zarten, lieblichen Thai-Frau sanft über seinen Rücken glitten. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
»Ich dachte mir, dass dir das gefällt. Dann ist es entschieden: Wir nehmen das Ostzimmer. Das liegt gleich daneben. So können wir die beiden Räume mit einem Durchbruch verbinden. Außerdem ist es einen halben Quadratmeter größer als die anderen beiden Schlafzimmer. Das glaubt man nicht, wenn man es sieht, aber ich habe das anhand des Grundrisses nachgemessen.«
»Durchbruch? Aber …«
»Ich habe alle Wenns und Abers durchdacht. Die komplette Einrichtung für dieses Zimmer, also Massageliege und so weiter, übernehmen wir, und im Gegenzug dürfen wir das Zimmer exklusiv nutzen.«
Hanfreds Lächeln wich einer krausen Stirn. Was hatte sie sich denn da ausgedacht? Sie richtet das Zimmer ein und darf es dafür nutzen? Für wie blöd musste sie die anderen halten, dass sie ihnen nicht zutraute, diesen Kuhhandel zu durchschauen? Oder war es möglich, dass sie von der Fairness ihres Angebotes wirklich überzeugt war?
»Da gibt es nur ein Problem: Wir wissen nicht, ob wir das Ostzimmer kriegen?«
»Natürlich kriegen wir das Ostzimmer.« Mit siegesgewissem Lächeln lehnte Gaby ihren Kopf an die Nackenstütze und blickte auf die Autos, die vor ihnen fuhren. »Das Südzimmer wäre übrigens das ideale Atelier für mich, also, nur für den Fall, dass eine der beiden anderen Parteien aussteigt. Bei den Schuberts frage ich mich sowieso, wie sie es finanzieren wollen. Mich würde es nicht wundern, wenn sie über kurz oder lang aufgeben, weil sie sich verkalkuliert haben. Paul mit seinem bescheidenen Gehalt als Elektrotechniker, Katrin ohne jegliche brauchbare Ausbildung und arbeitslos, zwei Kinder am Hals … Wessen Idee war es überhaupt, sie mit ins Boot zu holen? Dieses Haus wird ihnen das Genick brechen. Und Heide und Siggi … hm.« Gaby klappte die Sonnenblende herunter und ordnete ihr Haar im Spiegel.
»Was ist mit Heide und Siggi?«
»Siggi musste um jeden Preis dabei sein. Kennst ihn ja, der Ärmste fühlt sich ständig benachteiligt. Er ist wie der kleine Bruder. Muss alles haben, was du auch hast. Aber kannst du dir vorstellen, dass er und Heide mehr als einen halben Tag lang ihr kuscheliges Zuhause verlassen? Heide steht noch weniger dahinter als Siggi. Es ist schade um das Zimmer, das sie blockieren werden. Ich hätte bessere Verwendung dafür.«
»Wenn dir das alles nicht passt, warum steigst du nicht aus? Warum hast du den Vertrag überhaupt unterzeichnet?«, fragte Hanfred ärgerlich.
»Das fragst du noch? Du warst doch besessen von der Idee, ein Gemeinschaftsprojekt daraus zu machen.«
»Aber es war von Anfang an Pauls und meine Idee, wir sind zusammen durch die Gegend gefahren und haben Objekte angeschaut.«
»Siehst du. Da hast du Paul schon den Floh ins Ohr gesetzt.«
Hanfred erinnerte sich an ihren Urlaub in Garda im letzten Herbst. Ein Landhaus in Italien, hatte er sich gedacht, würde ihn für Allezeit davor bewahren, jemals wieder in ein Flugzeug steigen zu müssen. Der Gardasee war bequem mit dem Auto zu erreichen, das war der große Vorteil. Er hatte Paul davon erzählt und – insofern hatte Gaby nicht ganz Unrecht – es ihm als Altersvorsorge schmackhaft gemacht. Die Vorstellung, den Urlaub gemeinsam mit ihm und Katrin und nicht allein mit Gaby zu verbringen, hatte ihn beflügelt. »Jetzt ist es eben, wie es ist.«
»Ja«, sagte Gaby, kniff die Augen zusammen und wandte ihren Blick nach rechts aus dem Fenster. »Aber es muss nicht so bleiben.«